Reinraumklassen: Unterscheidung und Klassifizierungsmerkmale
Zuletzt aktualisiert: 31 Oktober 2025
Was sind Reinraumklassen?
In Industrie und Forschung sind Reinräume unerlässlich, um Produktions- und andere Prozesse vor Verunreinigungen zu schützen. Abhängig vom Einsatzgebiet sind dabei Räume mit unterschiedlichen Graden von Reinheit erforderlich. Alltagssprachlich wird typischerweise nur zwischen Rein- und Reinst-Räumen unterschieden. Tatsächlich gibt es aber deutlich mehr Abstufungen zwischen den verschiedenen Varianten. Zur Unterscheidung wurden unterschiedliche Reinraumklassen definiert. Je nach Klasse garantiert ein Reinraum, dass Partikel oder Keime einer bestimmten Größe nicht oder nur in extrem begrenzter Menge in der Luft und auf Oberflächen vorkommen.
Industrie und Behörden haben verschiedene Klassifizierungssysteme definiert, die den Fokus auf unterschiedliche Aspekte der Reinheit legen. In den Bereichen Raumfahrt und Halbleitertechnik spielt zum Beispiel ganz allgemein die Anzahl der pro Kubikmeter auftretenden Partikel eine Rolle, während in der Medizin- und Lebensmitteltechnik vor allem die Menge der in der Luft vorkommenden Mikroorganismen und Keime wichtig ist. Die unterschiedlichen Klassifizierungssysteme wie etwa der EU-Leitfaden zur Good Manufacturing Practice (GMP) oder der ISO-Standard 14644-1 berücksichtigen die Unterschiede zwischen den jeweiligen Anforderungskatalogen.
Normen und Klassifizierungssysteme zur Unterscheidung unterschiedlicher Reinraumklassen
Bei der Klassifizierung von Reinräumen spielen vor allem die beiden bereits oben erwähnten Standards eine Rolle:
- DIN EN ISO 14644-1
- EU-GMP-Leitfaden (EudraLex Vol. 4), insbesondere Annex 1
Annex 1 ist ein Anhang des EU-GMP-Leitfadens und behandelt die Sterilherstellung – er ist nicht mit dem gesamten GMP-Leitfaden gleichzusetzen.
Darüber hinaus wird in Deutschland mitunter der vom Verein Deutscher Ingenieure definierte Standard VDI 2083 herangezogen. Die VDI 2083 ergänzt die ISO 14644-1 um praxisbezogene Anforderungen an Planung, Qualifizierung und Betrieb.
Selten finden sich zudem noch Bezüge auf den alten US-Standard US FED STD 209E, der aber bereits seit November 2001 als „deprecated“ (also veraltet) eingestuft wird und nicht mehr für neue Produkte und Projekte angewandt wird.
ISO 14644-1 und EU-GMP Annex 1: Einstufungskriterien
Die beiden maßgeblichen Referenzdokumente sind ISO 14644-1 (Klassifizierung von Reinräumen) und der EU-GMP-Leitfaden, Annex 1 (Herstellung steriler Arzneimittel); Annex 1 referenziert ISO 14644-1 für Klassifizierung und Monitoring, ist jedoch eine regulatorische Leitlinie – keine Klassifizierungsnorm.
Der ISO-Standard definiert insgesamt neun unterschiedliche Klassen. Die Kurzbezeichnungen dafür lauten ISO 1 bis ISO 9. ISO 1 erfüllt dabei die strengsten Kriterien. Maximal zehn Partikel ≥ 0,1 µm pro m³ dürfen in einem ISO-1-klassifizierten Reinraum pro Kubikmeter vorkommen. Zum Vergleich: In einem ISO-9-klassifizierten Reinraum sind etwas mehr als 35 Millionen Teilchen mit einer Größe von mehr als 0,5 µm pro Kubikmeter zulässig.
Die GMP-Klasse A entspricht in etwa der ISO-Klasse 5, basiert aber auf eigenständigen Grenzwerten und Messmethoden. In einem den Anforderungen der EU entsprechenden Reinraum der Klasse A dürfen laut EU-GMP Annex 1 maximal 3.520 Partikel ≥ 0,5 µm/m³ im Ruhezustand gemessen werden. Für die Klassifizierung in Grade A ist ≥ 5 µm nicht spezifiziert; im Monitoring gelten 29 Partikel/m³ als Richtwert. Der GMP-Leitfaden umfasst weitere Klassen von B bis D, bei denen die Einstufungskriterien weniger streng sind. Generell sind bei der Klassifizierung nach GMP zudem die Anforderungen an die kontinuierliche Rezertifizierung strenger. Es sind also häufigere Kontrollmessungen und Prüfungen erforderlich als bei der reinen ISO-Klassifizierung.
Anders als bei der Klassifizierung nach ISO 14644-1 wird bei der GMP-Prüfung nicht nur die Reinheit des Raums im Ruhezustand beurteilt. Bei der GMP-Klassifizierung der Stufe A müssen im Betrieb dieselben strengen Grenzwerte eingehalten werden wie im Ruhezustand. Dies gilt insbesondere für Bereiche mit aseptischen Operationen, etwa Befüllung oder Verschluss. Auf den niedrigeren Klassifizierungsstufen gelten weniger strenge Anforderungen für die Messung im Betriebszustand.
Einflussfaktoren auf die Einstufung
Typischerweise entnehmen die Prüferinnen an verschiedenen Stellen im Reinraum mithilfe von Partikelzählern Luftproben, um die Klassifizierung nach ISO 14644-1 oder dem EU-GMP-Leitfaden durchzuführen. Damit ein Reinraum in eine bestimmte Klasse eingestuft wird, müssen alle(!) erfassten Proben den Anforderungen der jeweiligen Richtlinie gerecht werden. Die Anzahl der Sampling-Punkte wird nach Raumfläche gemäß ISO 14644-1 Anhang A bestimmt.
Bei den höherklassigen Einstufungen klassifizieren die Prüferinnen zudem die Lüftungstechnik. Reinräume der Klassen ISO-1 bis ISO-5 wird meist turbulenzarme Verdrängungslüftung eingesetzt. Das bedeutet, dass die Lüftung gefilterte Frischluft dem Raum gleichmäßig zuführt. Dazu erzeugt das Lüftungssystem sich gleichmäßig ausbreitende laminare Strömungen. Das gewährleistet, dass es zu keinen Verwirbelungen kommt und die vorhandene Raumluft sich nicht unmittelbar mit der Frischluft vermengt. Eventuell im Betrieb auftretende Mikropartikel verteilen sich so nicht über den gesamten Raum. Bei den niedrigeren ISO-Klassen sechs bis neun darf die Luft im Raum auch verwirbeln.
Anwendungsbereiche
Reinräume nach DIN-EN-ISO-Klassifizierung kommen in den unterschiedlichsten Branchen zum Einsatz. In der Automobilindustrie finden zum Beispiel häufig Reinräume der Klassen acht und neun Anwendung. Server-/Datacenter werden gemäß ASHRAE-Empfehlung oft auf ISO-8-Niveau gehalten. In der Medizintechnik sind Räume der Klasse sieben weit verbreitet, in der optischen Industrie der Klasse sechs.
In der Halbleiterindustrie spielen Reinräume eine besonders große Rolle. Vor allem Räume der Klassen ISO-4 und ISO-5 sind hier wichtig. Die noch strengeren Anforderungen der ISO-Klassen eins bis drei sind vor allem im Bereich der Forschung bedeutend.
Die Pharmaindustrie setzt dagegen in der Regel direkt auf die Klassifizierung nach dem EU-GMP-Leitfaden, dessen Anforderungen sie bei der Herstellung von Medikamenten aus regulatorischen Gründen einhalten muss.
Konkret hängt die Wahl der Reinraumklasse indes stark vom individuellen Anwendungsfall innerhalb der Branche ab. Auch in der Automobilindustrie kann es Einsatzzwecke für strenger klassifizierte Reinräume geben. Umgekehrt ist es Bereich der Halbleiterindustrie mitunter ausreichend, einen Reinraum niedrigerer Reinheitsklasse zu nutzen.